SV Tasmania Berlin: Viel mehr als der Bundesliga-Negativrekord

Ein Rekord für die Ewigkeit? Der SV Tasmania Berlin steht bis heute in den Geschichtsbüchern als statistisch schlechtestes Team der Bundesliga. Seitdem sind genau 60 Jahre vergangen. Heute ist der Verein anders aufgestellt – und trotzdem stolz auf seinen Platz in der Historie des deutschen Fußballs.

Almir Numic ist im Stress. Der 42-Jährige leitet nicht nur ein international tätiges Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden. Numic ist auch 1. Vorsitzender des SV Tasmania Berlin. Der Verein aus der Hauptstadt ist im nicht unproblematischen Stadtteil Neukölln zuhause. Mehr als 300.000 Menschen aus mehr als 160 Nationen leben dort. Und genau deshalb kommt Tasmania eine so wichtige Rolle zu, wie auch Numic betont: "Viele, die hier wohnen, stammen aus schwierigen Verhältnissen. Unser Ziel ist es, vor allem die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe des Fußballs bei uns zu integrieren und sie im besten Fall von der Straße zu holen. Das klappt nicht immer, aber es gibt viele sehr schöne Beispiele, dass es gelingen kann."

"Genauso bunt wie unser Kiez"

Numic berichtet von einem Fußballer, der vor einigen Jahren in der U 14 gespielt und dort regelmäßig Stress gemacht hat: "Dieser Junge war einer der schlimmsten. Er hat immer wieder Streit und Schlägereien angezettelt. Wir lassen niemanden fallen, aber wer sich dauerhaft nicht an die Regeln hält und unsere Werte nicht akzeptiert, der muss dann auch mit den Konsequenzen leben. Und bei diesem Jungen war es so, dass er kurz vor dem Rauswurf aus dem Verein stand. Wir haben dann noch ein letztes, ganz offenes Gespräch mit ihm und seinen Eltern geführt – und das hat ihm offenbar die Augen geöffnet. Heute ist er ein anderer Mensch und fester Bestandteil unserer Herrenmannschaft, die in der Oberliga spielt. Hier hat man wieder mal die Kraft des Fußballs gesehen."

Bei Tasmania Berlin ist es selbstverständlich, dass jeder und jede willkommen ist und in der Gemeinschaft aufgenommen wird. "Unser Verein ist genauso bunt und vielfältig wie unser Kiez", sagt Numic. "Wir sind Multikulti im allerbesten Sinne. Natürlich gibt es auch mal Schwierigkeiten, aber die werden dann aus der Gruppe heraus gelöst. Es kommt ganz selten vor, dass wir als Vorstand eingreifen müssen."

Tasmania Berlin kann auf eine bewegte Historie blicken. Den meisten Fußballfans dürfte der Verein vor allem deshalb ein Begriff sein, weil er bis heute in den Geschichtsbüchern der Bundesliga als schlechteste Mannschaft aller Zeiten einen beinahe schon legendären Platz hat. Ziemlich genau 59 Jahre ist das inzwischen her. Der Verein beendete die Saison 1965/1966 mit zehn Punkten und einem Torverhältnis von 15:108. Fast alle Negativrekorde stellt Tasmania damals auf. Unter anderem blieb der Klub 31 Spiele in Folge ohne Sieg, kassierte die meisten Gegentreffer und erzielte die wenigsten Tore. Auch den Zuschauer-Negativrekord hält Tasmania: 827 Fans kamen seinerzeit zum Heimspiel gegen Borussia Mönchengladbach.

Numic ist erst seit 2019 bei der Tasmania im Einsatz. Aber natürlich ist diese Geschichte auch heute noch regelmäßig Gesprächsthema: "Diese Anekdote gehört einfach zu unserem Verein dazu, und das ist auch gar nicht schlimm", sagt Numic. "Das Gegenteil ist sogar der Fall: Immer wieder wird in den Medien zu bestimmten Anlässen darüber berichten. Extrem war das vor vier Jahren der Fall, als Schalke 04 einiges dafür getan hat, um uns unseren Uraltrekord streitig zu machen. Zum Glück haben sie am Ende doch noch ein paar Punkte mehr geholt als wir damals. Für uns ist dieses Thema auf jeden Fall eine kostenlose Werbung." Es komme immer wieder mal vor, dass Fans aus der ganzen Welt den Weg zur Tasmania suchen, um sich dort ein Fußballspiel anzuschauen. Die Kraft der Nostalgie ist nicht zu unterschätzen.

Tasmania hat in den Jahren nach dem historisch schlechten Jahr in der Bundesliga kaum einen Tiefpunkt ausgelassen. 1973 musste der Verein Insolvenz anmelden und in der Kreisliga C neu anfangen. In den Jahren danach ging es langsam, aber kontinuierlich aufwärts – bis zur Saison 2021/2022, als die erste Mannschaft es tatsächlich in die viertklassige Regionalliga Nord geschafft hatte. Dort belegte das Team aber – passend zur Geschichte – den letzten Platz: Drei Siege, acht Unentschieden und 27 Niederlagen bei einem Torverhältnis von 28:107.

"Rückblickend muss man sagen, dass diese Saison in jeder Hinsicht einfach schrecklich war" ,sagt Numic rückblickend. "Wir konnten nicht auf unserer eigenen Anlage spielen, weil die Infrastruktur hier nicht für die Regionalliga ausgelegt ist. Wir mussten nach Lichterfelde ausweichen. Aber das ist eben nicht unsere Heimat. Damit ging dann leider auch ein Teil unserer Identität verloren." Eine erneute Rückkehr in die Regionalliga wird daher auch erst dann ein Thema sein, wenn der heimische Werner-Seelenbinder-Sportpark die Voraussetzungen dafür erfüllt.

"Fokus auf erfolgreicher Nachwuchsarbeit"

Aber bei Tasmania hat in den vergangenen Jahren unter Almir Numic als Vorsitzendem sowieso ein Umdenken stattgefunden. "Natürlich ist und bleibt die erste Mannschaft unser Aushängeschild, aber wir haben die Prioritäten innerhalb des Vereins nachhaltig verändert", sagt er und erklärt: "Unser Fokus liegt in erster Linie auf einer erfolgreichen Nachwuchsarbeit. Danach kommt die Infrastruktur, die wir unbedingt verbessern müssen. Und dann erst kommt der Herrenfußball, den wir selbstverständlich nicht vernachlässigen werden. Aber die wenigen finanziellen Mittel, die wir zur Verfügung haben, werden zunächst in andere Projekte investiert."

Dass diese Idee bei Tasmania auch gelebt wird, belegt die Statistik: Als Numic im November 2019 Verantwortung übernahm, hatte der Verein zehn Jugendmannschaft im Spielbetrieb, mittlerweile sind es über 20 Nachwuchsteams – Tendenz weiter steigend. Die Jugendabteilung besteht aus mehr als 400 Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen vier und 18 Jahren aus der direkten Nachbarschaft, die sich während der Woche und vor allem am Wochenende auf der Anlage tummeln und mit großer Leidenschaft ihrem Hobby nachgehen.

"Wenn man sieht, was dann hier los ist, da geht einem zwangsläufig das Herz auf", sagt Numic. "In diesem Momenten weiß man dann auch, warum man sich ehrenamtlich engagiert und viel Zeit und auch Geld in diesen Verein steckt." Es ist offensichtlich, dass bei Tasmania Vergangenheit und Zukunft aufeinandertreffen: Der schlechtes Bundesligaklub aller Zeiten rückt die Jugend in den Fokus der Vereinsarbeit. Wenn das keine Fußballromantik ist.

Autor*in
Autor/-in: Martin Schwartz