Volker Westhaus:
Fußball ist weit mehr als ein Spiel – es ist ein Spiegel der Gesellschaft, in dem Fairness, Respekt und Zusammenhalt eine zentrale Rolle spielen. Doch gerade auf dem Platz kommt es immer wieder zu Gewalt und Diskriminierung, weshalb engagierte Akteure wie Volker Westhaus entscheidend zur Prävention und Aufarbeitung solcher Vorfälle beitragen.
Als Verantwortlicher beim Thüringer Fußballverband setzt er sich für Schiedsrichter, Vereine und Betroffene ein, um Konflikte aufzuarbeiten und langfristige Lösungen zu schaffen. Im FUSSBALL.DE-Interview spricht er über Herausforderungen, Präventionsmaßnahmen und die Verantwortung jedes Einzelnen, damit Fußball ein Spiel für alle bleibt.
FUSSBALL.DE: Herr Westhaus, können Sie sich bitte kurz vorstellen?
Volker Westhaus: Ich bin seit 2021 beim Thüringer Fußballverband tätig, insbesondere in der Betreuung der Schiedsrichter im Spielbetrieb, der Spielberechtigung, den Sportgerichten und als Anlaufstelle für Vorfälle von Gewalt und Diskriminierung. Die Schiedsrichterarbeit ist mir besonders wichtig, da sie Werte wie Gerechtigkeit und Fairness fördert – Themen, die mir auch in meiner sportmanagementbasierten Ausbildung am Herzen liegen.
Sie haben bereits Ihre Tätigkeit als Anlaufstelle erwähnt. Wo sehen Sie Potenziale im Kampf gegen Diskriminierung und Gewalt?
Westhaus: Ein wichtiger Ansatz ist, mehr Verantwortung von jedem Einzelnen einzufordern. Oft wird Fehlverhalten auf andere geschoben, was keine langfristige Verhaltensänderung bewirken kann. Jeder, der an einem Spiel beteiligt ist – sei es als Schiedsrichter, Spieler oder Zuschauer – trägt Verantwortung für das gute Gelingen eines Spiels. Häufig wird etwa der Schiedsrichter für Entscheidungen verantwortlich gemacht, was zu unangemessenem Verhalten führt. Unsere Anlaufstelle zielt darauf ab, Vorkommnisse ernst zu nehmen und klar und gerecht aufzuarbeiten. Es geht darum, nicht nur die Betroffenen zu unterstützen, sondern auch den Vereinen und Akteuren, die Fehlverhalten ansprechen, Lösungen aufzuzeigen. Ziel ist es, dass diese Vorfälle als Lernprozesse dienen und nicht dauerhaft das Vereinsklima belasten. Letztlich hängt viel von der Verantwortung jedes Einzelnen ab – von den Vereinsvorständen über Trainer bis hin zu Spielern, Eltern und Zuschauern. Wenn jeder seinen Beitrag zu einem respektvollen Miteinander leistet, entstehen weniger Konflikte und die Freude am Sport wächst. Das führt zu einer besseren Atmosphäre, mehr Freude, mehr Kinder und Zuschauer, die zu einem Spiel kommen.
Wie sieht ein typischer Arbeitsalltag bei Ihnen aus? Welche Aufgaben übernehmen Sie, insbesondere in Bezug auf die Unterstützung von Betroffenen?
Westhaus: Mein Arbeitsalltag folgt oft dem Rhythmus eines normalen Spieltags. Nach jedem Wochenende, meist Montag oder Dienstag, gehe ich die Spielberichte durch. Diese sind das Hauptkommunikationsmittel für Informationen über Vorfälle. Ich prüfe, ob relevante Vorkommnisse gemeldet wurden und wer bereits darüber informiert ist, zum Beispiel die Staffelleitungen. Dann kläre ich, ob es weitere Informationen gibt, die möglicherweise nicht im Spielbericht stehen, etwa durch Telefonate zwischen Vereinen oder Schiedsrichtern. Wenn Schiedsrichter betroffen sind, ist der Kontakt direkt. Ich bespreche mit den Verantwortlichen der jeweiligen Region, ob sie über den Vorfall informiert sind, besonders, wenn es junge Schiedsrichter*innen betrifft, die sich nicht immer direkt melden. Sobald der Vorfall bearbeitet wird, stelle ich Kontakt zu den Betroffenen her, wenn möglich. Das geschieht oft über die Vereine, um herauszufinden, wie die Situation aktuell gehandhabt wird und welche Unterstützung notwendig ist. Es ist wichtig, die Informationen zunächst einzuordnen und zu filtern. Nicht jede Beleidigung ist beispielsweise automatisch ein Fall von Diskriminierung, was für die weitere rechtliche Bewertung und die Strafverfolgung durch Sportgerichte eine Rolle spielt. Wir unterscheiden zwischen diesen beiden, um den richtigen Weg für die Bearbeitung des Vorfalls zu finden. Zusätzlich zu den unmittelbaren Aufgaben, wie der Vorbereitung auf mögliche Sportgerichtsverhandlungen, koordinieren wir gegebenenfalls auch weiterführende Unterstützung. Wenn intensivere Gespräche mit den Betroffenen geführt wurden, empfehlen wir Kontakte zu Beratungsstellen oder Fachleuten, die direkt vor Ort helfen können. Wir arbeiten dabei eng mit Partnern wie dem Landessportbund zusammen. Da wir noch keine eigenen Konfliktberater oder direkte Betreuungspersonen haben, übernehmen diese Partner die fachliche Betreuung. Unsere Aufgabe ist es, den Informationsfluss sicherzustellen und die Betroffenen an die richtigen Stellen weiterzuleiten.
Haben Sie eine ungefähre Zahl, wie viele Fälle von Gewalt und Diskriminierung Sie pro Jahr bearbeiten? Gibt es dazu einen Saisonbericht?
Westhaus: Im Durchschnitt bearbeiten wir etwa 50 bis 60 Meldungen pro Jahr. Davon gehen wir bei rund 40 bis 45 Fällen intensiver nach. Der Großteil betrifft einzelne Vorfälle wie Beleidigungen, die oft als weniger gravierend wahrgenommen werden, aber dennoch Auswirkungen auf die Betroffenen haben. Auffällig ist, dass extreme Vorfälle wie schwere Gewalt oder Diskriminierung abgenommen haben, während Respektlosigkeiten und abwertendes Verhalten weiterhin ein großes Thema sind. Es handelt sich oft um Grenzüberschreitungen, die von den Verursachern nicht immer als solche erkannt werden.
Wie unterstützen Sie die betroffenen Personen konkret? Gibt es auch langfristige Unterstützung, insbesondere in psychologischer und sozialer Hinsicht?
Westhaus: Als Landesverband bieten wir keine eigene langfristige Unterstützung an. Wir binden jedoch intensiv unsere Partner mit ein, wie den Landessportbund mit dem Programm "Sport zeigt Gesicht" oder die mobile Opferberatung. Diese Partner können eine längerfristige Betreuung bieten, die wir selbst mit unseren Ressourcen nicht leisten können. Unsere Rolle besteht darin, als Ansprechpartner zu fungieren und die betroffenen Personen an die richtigen Stellen weiterzuleiten. Mein Bild ist immer das, dass ich die Einsatzzentrale bin. Ich weiß immer, wenn der Notruf reinkommt, dann bekomme ich ihn. Das ist auch gut, aber eigene Rettungsfahrzeuge und Einsatzfahrzeuge stehen noch nicht in der Garage. Ein konkretes Beispiel war ein Vorfall, bei dem ein Schiedsrichter Opfer einer Gewalttat wurde. In solchen Fällen bieten wir Unterstützung an, aber die langfristige Betreuung übernehmen unsere Partner. Es ist wichtig, dass wir mit den Betroffenen gemeinsam herausfinden, welche Unterstützung sie wirklich annehmen können. Bei Vereinen, die in Vorfälle verwickelt sind, arbeiten wir auch an der Prävention und mit dem Vereinsvorstand, um sicherzustellen, dass solche Vorfälle nicht wieder vorkommen. So gehen wir bei individuellen Fällen vor, aber auch bei Vereinsarbeit setzen wir auf langfristige Lösungen, um die Verantwortung klarzumachen.
Sie haben bereits die Präventionsarbeit angesprochen. Welche präventiven Maßnahmen setzen Sie in den Vereinen um? Gibt es spezielle Schulungen für Trainer*innen, Schiedsrichter*innen und andere Beteiligte?
Westhaus: Wir haben verschiedene Fortbildungsmaßnahmen entwickelt, die gezielt auf Konfliktbewältigung und Kommunikation abzielen. Für Trainer*innen bieten wir eine Fortbildung an, die sich mit Konfliktmanagement beschäftigt und ihnen hilft, ihre Spieler*innen besser zu führen. In dieser Weiterbildung geht es um Perspektivwechsel, damit Trainer*innen die Auswirkungen ihres Verhaltens auf andere besser verstehen. Zudem haben wir die Team-Up-Angebote in der Trainerausbildung eingeführt, die sich mit Wertevermittlung und der Auseinandersetzung mit den verschiedenen Rollen im Team befassen. Darüber hinaus haben wir für die Trainer*innen eine Kooperation aufgebaut mit dem Qualifizierungsangebot des Landessportbund "Fit für Vielfalt", das die interkulturelle Kompetenz thematisiert. Für die Schiedsrichter*innen haben wir ein spezielles Modul entwickelt, das an die "Schiedsrichter gegen Diskriminierung"-Kampagne des DFB anknüpft. Es heißt "VAR" (Value-Based Antidiscrimination Workshop for Referees) und behandelt Themen wie Rassismus, Homophobie und Sexismus. Schiedsrichter*innen müssen in solchen Momenten empathisch und solidarisch handeln und die Bedeutung ihres Verhaltens für die betroffenen Personen verstehen. Wir haben dieses Modul pilotiert und werden es nun landesweit in allen Fußballkreisen ausrollen. Ein weiterer wichtiger Bestandteil unserer Präventionsarbeit ist die Schulung von Vereinsordnern. Sie spielen eine zentrale Rolle, insbesondere wenn es um das Verhalten von Zuschauern geht. Wir schulen die Vereine mit Ordnerschulungen, wie sie bei diskriminierendem Verhalten eingreifen können und welche Maßnahmen sie ergreifen sollen, um Konflikte frühzeitig zu entschärfen. Zusätzlich haben wir die Sportgerichte intensiv geschult, insbesondere im Bereich der Unterscheidung von Beleidigungen und Diskriminierung. Es ist wichtig, dass sie diese Unterschiede korrekt einordnen, um gerecht und fair zu urteilen. Diese Maßnahmen richten sich nicht nur an Trainer*innen und Schiedsrichter*innen, sondern auch an die Vereine und deren Ordner, da sie einen direkten Einfluss auf das Verhalten aller Beteiligten haben. Die Prävention ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit, um ein respektvolles Miteinander zu fördern.
Wie wird die Präventionsarbeit von den Vereinen aufgenommen und akzeptiert? Sind sie bereit, die Schulungen zu absolvieren?
Westhaus: Die Schulungen, insbesondere die für Vereinsordner, stoßen in der Regel auf positive Resonanz, auch wenn wir manchmal noch an unserer Kommunikation arbeiten müssen. Viele Vereine nehmen die Teilnahme an diesen Schulungen als Pflichtmaßnahme wahr, aber am Ende sind sie überrascht, wie gestärkt sie daraus hervorgehen und erkennen, welche Verantwortung sie wirklich tragen. Oft ist es so, dass diese Themen anfangs nur latent behandelt wurden – bis es zu einem Vorfall kommt und wir den Vereinen ihre Verantwortung aufzeigen. Besonders bei Vereinen, die bereits größere Vorfälle erlebt haben, stellt sich oft ein positiver Wandel ein. Sie erkennen, dass es notwendig ist, an diesem Thema zu arbeiten, und sind bereit, sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Vereine, die Angst um ihren Ruf haben, sind oft sehr motiviert, sich weiterzubilden, um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern. Ein negativer Artikel kann schnell den Ruf eines Vereins beschädigen, was die Vereine dazu bewegt, präventiv tätig zu werden. Auch wenn es immer noch einige gibt, die zögern, merken wir insgesamt, dass die Schulungen und Präventionsmaßnahmen gut angenommen werden und viele Vereine positive Veränderungen umsetzen.
Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen bei der Bekämpfung von Gewalt und Diskriminierung im Fußball?
Westhaus: Eine der größten Herausforderungen ist, dass oft zu wenig über Kooperation nachgedacht wird. Im Fußball geht es um Gewinnen oder Verlieren, und viele sind emotional so investiert, dass sie das Verhalten der anderen abwerten, wenn diese mal besser sind. Es wird nicht genug erkannt, dass Fußball ein gemeinsames Spiel ist, bei dem die Zusammenarbeit wichtig ist. Es fehlt der Perspektivwechsel: Wie fühlt sich die andere Person, wenn sie angegangen wird? Viele Spieler und Vereine haben Schwierigkeiten, sich in die Lage des anderen zu versetzen, was zu Konflikten führt. Dieser Perspektivwechsel muss gefördert werden, damit die Präventionsmaßnahmen auch ankommen und ein besseres Miteinander erreicht wird.
Welche Formen von Diskriminierung treten im Fußball häufig auf, und wie gehen Sie damit um?
Westhaus: Die häufigsten Diskriminierungsformen im Fußball sind Rassismus, Homophobie und Sexismus. Wir orientieren uns an den Handlungsempfehlungen des DFB, um diese Vorfälle klar einzuordnen. Beleidigungen, die diese Kategorien betreffen, sind für uns klare Diskriminierungsfälle und keine harmlosen Sprüche. Bei schwerwiegenden Fällen ergreifen wir gezielte Maßnahmen. Ein Beispiel: Ein Verein musste nach einer rassistischen Beleidigung durch einen Zuschauer eine Ausgleichszahlung an den betroffenen Spieler leisten. Dies sendet ein klares Zeichen der Verantwortung. Zudem haben wir Anti-Aggressionstrainings für Spieler*innen eingeführt und längere Sperren ausgesprochen, gekoppelt mit verpflichtenden Qualifizierungsmaßnahmen wie "Fit für Vielfalt". Für die Vereine gibt es auch die Möglichkeit, Anti-Rassismus-Trainings als Sanktion durch Sportgerichte zu erhalten. Dabei müssen ganze Teams daran teilnehmen, um eine nachhaltige Veränderung zu erzielen.
Haben diese Maßnahmen positive Entwicklungen gebracht?
Westhaus: Ja, es gibt positive Entwicklungen. Besonders bei Vereinen, die Auflagen zur Schulung von Ordnern erhalten haben, haben wir eine Verbesserung festgestellt. Auch die Thematisierung von rassistischen Vorfällen hat dazu geführt, dass Vereine verstehen, wie wichtig es ist, klare Regeln aufzustellen. Langfristige und intensive Arbeit zeigt häufig positive Effekte. Ein Problem bleibt jedoch: Auch wenn es Fortschritte gibt, müssen viele Menschen in einem Verein erreicht werden, insbesondere wenn es im Nachwuchsbereich viel Fluktuation gibt. Zudem sehen wir, dass bei einigen Vereinen trotz Präventionsmaßnahmen immer noch Konflikte auftreten, die nicht sofort sichtbar sind. Die Herausforderung besteht darin, diese Problemlagen realistisch zu erfassen und nachhaltige Lösungen zu finden.
Gibt es noch etwas, das Sie gerne loswerden möchten, das wir mit den bisherigen Fragen nicht abgedeckt haben?
Westhaus: Ich habe noch einen meiner Lieblingssprüche, den ich gerne teile, besonders wenn es um die strukturelle Sichtweise geht: "Dem Ball ist egal, wer dagegentritt." Dieser Satz sollte vielen Menschen im Kopf bleiben. Der Ball interessiert sich nicht dafür, wer ihn spielt, sondern nur dafür, dass er ins Tor geht. Genau so sollten auch viele Themen im Fußball betrachtet werden. Es geht darum, zusammenzukommen, um den Ball zu spielen – nicht um Trennendes, sondern um das Gemeinsame. Wenn man diesen Fokus beibehält, kann vieles relativiert werden, und man erkennt, dass es mehr Verbindendes gibt als Trennendes. Wenn wir das verstehen, bringt das eine gewisse Lässigkeit mit sich, die viele Probleme gar nicht erst hochkochen lässt. Das ist mein Wunsch, und ich hoffe, dass mehr Menschen den Fußball auch so betrachten.